Aktion: Robert Schlosser arbeitet für seine Ausstellung „Bergsturz“ in der Galerie Neuendorf tagelang vor Ort.
Farben, Pinsel und Skizzen liegen in der Galerie Neuendorf auf dem Boden zwischen fertigen Bildern, einige hängen bereits an den Wänden, andere stehen angelehnt davor. Mittendrin werkelt seit Montag der Künstler Robert Schlosser. „Bergsturz – Work in Progress II“ nennt er diese Arbeitsphase, die am Freitagabend in die Eröffnung seiner gleichnamigen Ausstellung münden wird. Bis dahin können ihm Interessierte in der ehemaligen Hüetlin & Roeck Mühle jederzeit über die Schulter schauen. Zwei Projekte will der geborene Memminger (Jahrgang 1953), der an der Münchner Kunstakademie studiert hat und seit 1978 in Hamburg lebt, bis zur Vernissage verfolgen. „Unterfahrt“ heißt ein Bild, das er in Hamburg zu einer Installation gemalt hat, für die er vor zwei Jahren Fuchsbilder in die Memminger Luitpold-Unterführung gehängt hat. Dazu will er nun vielleicht die Original-Füchse platzieren – oder nachts noch einmal vor Ort malen und das Ergebnis dann in die Ausstellung integrieren. Das andere Projekt ist ein zweiter „Bergsturz“: Ein Bild mit diesem Titel hat Schlosser im vergangenen Jahr schon einmal gemalt – und dann erst nachträglich mit einem realen, gigantischen Felssturz in Graubünden in Bezug gesetzt (der Artikel darüber ist im Katalog abgedruckt). Nun entsteht der zweite Teil, in das gemalte Bild will er diesmal seitenverkehrt einen fliegenden Adler drucken und so ein Diptychon schaffen. „Der Adler überblickt alles, das passt sehr gut und bringt Dynamik ins Bild“, sagt Robert Schlosser.
Mit dem Fliegen beschäftigt er sich ohnehin viel. Sein dreiteiliger „Flieger“ hängt bereits freischwebend von der Decke. Die dunkle Männerfigur in der Mitte hat er auf eine starre Dibondplatte aufgezogen, deren Flügel baumeln daneben auf Papier und bewegen sich leicht im Luftzug. Die Flügel hatte Schlosser übrigens erst aus Holz gebaut und sich dann damit selbst in einem Wald von einem Baum abgehängt.
Solche Aktionen macht er öfter. Ein Foto neben einer Serie von mannshohen Hirschbildern dokumentiert, wie er ein ganzes Rudel davon im Wald aufgebaut hat. „Ich verknüpfe gerne Sachen mit Orten, wo sie hergekommen sind, oder versetze Werke in ungewöhnliche Situationen“, sagt der Künstler. „Das ist ein schöpferischer Prozess wie das Malen“. Ihn interessiert, was dann mit dem Werk passiert, wie es in Verbindung tritt mit seiner Umgebung. Dieses Offenbleiben, das Prozesshafte, Mehrdeutige – auch im fertigen Bild – ist Robert Schlosser wichtig. So will er etwas in Gang setzen beim Betrachter, ihm eine Projektionsfläche für dessen eigene Gedanken bieten. „Work in Progress“ ist nicht nur Untertitel der gerade entstehenden Ausstellung, sondern immerwährendes Prinzip in Robert Schlossers Schaffen. Und setzt sich auch in der Präsentation fort. Zufällig hat sich beispielsweise ergeben, dass er für seine Ausstellung auch einen großen Raum im unrenovierten Mühlengebäude gegenüber der Galerie nutzen kann. Dorthin kommt jetzt sein 15 Meter langes Bild „Wald der gehängten Füchse“, das für seine letzte Ausstellung in Memmingen entstanden ist. Weil er es unbedingt zeigen wollte, hätte er es sonst an einer Außenwand platziert. Dazu will er Stillvideos beamen. Als ausgefuchster Autor erweist sich Robert Schlosser übrigens im Katalog, der mit Arbeiten der letzten beiden Jahre neu zur Ausstellung erscheint. Darin findet sich ein Dialog mit Maler-Star Georg Baselitz – das sich Schlosser allerdings nur ausgedacht hat. Eine Fährte hat er mit dem Hinweis „aus einem Gespräch mit Georg Baselitz kurz vor seinem 81. Geburtstag“ gelegt (der wurde heuer erst 80). Der fingierte Gedankenaustausch steht neben „Abendblick“, einer auf den Kopf gestellten Landschaft, für die sich Schlosser mit einem „die war so!“ beim prominenten Auf-dem-Kopf-Maler rechtfertigt.
BRIGITTE HEFELE-BEITLICH, Allgäuer Zeitung, 2018-6
Pressetext Robert Schlosser im Kreuzherrnsaal Memmingen 2013
Auf lange Sicht! R.S. zeigt vom 6.6. bis zum 16.6. Bilder und Drucke (Holzschnitt) im KHS. Der Titel der Ausstellung ist nicht weniger als eine Anleitung und Maßstab für die Arbeiten des Künstlers.
Zunächst erfordern die meist großformatigen Bilder, um sie in Gänze betrachten und erfassen zu können, einen entsprechenden weiten Blick. Diese Distanz, in die der Betrachter so räumlich gestellt wird, scheint der Künstler selbst in seinen Werken inhaltlich einzunehmen und er eröffnet damit dem Betrachter die Möglichkeit, sich die Bilder zu eigen zu machen. R.S. bahnt den Weg, eigene Fantasien und Deutungen zu den gezeigten Motiven zu entwickeln, das macht seine Arbeiten spannend und faszinierend. Die Motive sind am treffendsten als entworfene Realitäten zu bezeichnen. R.S. führt den Betrachter in eine Welt, in der die Unterscheidung zwischen Fiktion und Realität überflüssig wird. So stellt sich nicht die Frage, was beispielsweise im Bild „Detail“ einen Luchs in ein Atelier verschlagen haben könnte. Nichts fordert den Betrachter auf, Absurditäten als nicht real zu entlarven. R.S.´s Szenerien ignorieren häufig nicht nur Wirklichkeit und Fiktion, sondern lassen scheinbar lange Zeiträume zur Momentaufnahme zusammenschmelzen. Vom Moment weit zurück und weit nach vorn, zurück zum Hier und Jetzt. So werden Motive entwickelt, wie Snapshots eines Filmes, der gleichzeitig vorwärts und rückwärts läuft und R.S.´s Arbeiten scheinen genau dann zu entstehen, wenn sich beide Spuren treffen. Elly Xol